Seit die scheinbare Entdeckung von künstlichen Marskanälen 1877 durch Giovanni Schiaparelli vor allem durch prominente Astronomen wie Camille Flammarion und Percival Lowell in den 1890er Jahren in den Massenmedien wie Tageszeitungen und Wochenblättern popularisiert wurde, manifestierte sich bei Fachleuten und dem Bildungsbürgertum die Erkenntnis, dass der Mars dann zwangsläufig auch von intelligenten Bewohnern, den Marsmenschen, Marsianern, Marsiten oder Martiern bewohnt sein müsste. Der Vater der modernen deutschen Science Fiction, Kurd Laßwitz, gab dieser Hoffnung pointiert 1910 mit der Maxime „Unser Recht auf Bewohner anderer Welten“ in seinem gleichnamigen Essay Ausdruck.Die Herforder Astronomielehrerin Hedwig Müffelmann sah sich mit Friedrich Wilhelm Mader und seinen Wunderwelten seelenverwandt und schrieb ihm 1911 von ihrer gemeinsamen Sehnsucht der auf der Erde darbenden Menschheit, die man heute besonders angesichts der aktuellen Weltlage immer noch teilen wird:
Ein leises, köstliches, immerwährendes
Heimweh nach den höchsten Lebensstufen,
die dort in den Weiten des Weltalls auf uns warten.
Heute ist es jedoch schon erstaunlich zu sehen, wie der Mars seit den 1890er Jahren im deutschsprachigen Raum, weltweit sogar noch früher, die öffentliche Diskussion in den Massenmedien bestimmte, dazu führte, dass Mars-Theaterstücke aufgeführt wurden, die noble Gesellschaft sich zu Fasching als Marsmenschen verkleidete, Menschen und Medien, deren Astralleib auf dem Mars gewesen sein soll, von dort berichteten und sich einer großen Aufmerksamkeit sicher sein konnten. Von Wissenschaftlern wurde mit Unterstützung von begüterten Sponsoren sogar schon versucht, telegraphisch mit den vermeintlichen Marsbewohnern Kontakt aufzunehmen.
Der heutige Leser wird deshalb erstaunt in dieser Anthologie feststellen, dass aktuelle Ideen wie beispielsweise die Umsiedlung auf den Mars, die Teleportation, der bemannte Marsflug und der First Contact oder die Signalfunktechnik von SETI schon vor mehr als 100 Jahren in der deutschen Science Fiction präsent waren und sogar oft erst in den 1950er Jahren von der bis heute führenden angloamerikanischen SF wieder aufgenommen wurden, wie auch die Lotterie um die Erde, die dann von einem Marsianer ersteigert wird. Nur die damals auch oft belletristisch umgesetzte Überzeugung, dass extraterrestrische Intelligenzen überhaupt kein Interesse an einem Kontakt mit einer rücksichtslosen, sich selbst und andere zerstörenden Menschheit, die sich als eine Fehlentwicklung und Gefahr im Sonnensystem geriert, haben könnten, wird aktuell von unserer typischen anthropozentrischen Überheblichkeit ausgeblendet – so auch von SETI.
Flüchten Sie in Band I im Jahre 100.000 vor dem drohenden Untergang der Erde auf den Mars, kommunizieren Sie mittels Lichtdepeschen oder Funksignalen mit den Marsianern oder lassen sich dort hin teleportieren, empfangen Sie telegraphisch das Porträt des Marsianers Ausiel oder seien Sie bei der Ankunft des Marsmenschen Kezmezk dabei, begegnen Sie männlichen und weiblichen Marsspionen auf der Erde oder fliegen Sie selbst zum Mars, feiern Sie beim 1000jährigen Stiftungsfest des Mars mit und seien sie bei der deutsch-französischen Kolonisation des Mars im Jahre 2108 dabei, bieten Sie rechtzeitig mit, bevor die Erde für 7 Gulden an einen Marsianer versteigert wird, aber brechen Sie der Marskönigin nicht das Herz und entrüsten Sie sich darüber, was die Marsianer schon vor 100 Jahren über eine Begegnung mit den Menschen telegraphierten: Kein Interesse!
Band I: 26 Deutsche Marsphantasien 1892 - 1909
460 Seiten mit 22 Original-Illustrationen und Einleitung
Bibliophile Hardcover-Ausgabe mit Leseband, 21 cm x 14 cm
ISBN 978-3-946366-31-7
49, 80 Euro
Inhalt:
1892 Gerhard Stein Ein Erlebniß auf dem Mars
1892 Josef Kohler Die Zukunft der Erdbevölkerung
1893 Karl von Schlözer Auf dem Mars
1896 Vincenz Chiavacci Eine Botschaft vom Mars
1897 Zyx Das 1000jährige Stiftungsfest auf dem Mars
1898 Manfred Fuhrmann Ein Marsbewohner über die Erde
1898 N. N. Das Uranelektroskop
1900 N. N. Eine Weltallreise
1900 Oskar Hoffmann Unter Marsmenschen
1903 Ornis Verschiedenes vom Mars
1904 Georg Heym Der Alte vom Berge
1905 Alexander Roda Roda Mister Millers Linienlicht
1905 Adolf May Die Marsreise
1906 N. N. Vom Planeten Mars
1906 Felix Erber Auf drei Planeten
1907 Tauentzien Der Marsmensch
1907 Friedrich Bilz Depeschenwechsel mit dem Mars
1907 Waldemar Schilling Von der Erde zum Mars
1907 Carl Grunert Der Fremde
1908 Carl Grunert Der Marsspion
1908 Carl Grunert Mysis
1908 H. W. Marsdamen im Jahre 2500
1908 Hans Dominik Die Reise zum Mars
1909 August Niemann Der Aetherio auf dem Mars
1909 Kiek Kiek Das letzte Problem
1909 Kiek Kiek Finis
Nach 1909 wurde der Mars belletristisch ernsthafter, so beispielsweise mit einer möglichen Kontaktaufnahme mittels Licht- und Funksignalen, oft jedoch auch wenig origineller behandelt, häufiger dabei sogar „missbraucht“ um beispielsweise eine emanzipierte Frauenwelt zu propagieren, erotische Sehnsüchte zu befriedigen oder die internationalen Verwicklungen vor und im 1. Weltkrieg extraterrestrisch in eine Parallelwelt zu projizieren und zu extra-polieren. So spiegeln dabei die Terrainspekulanten auf dem Mars doch nur die imperialen Nationalstaaten auf der Erde wieder, die in einer anderen Erzählung sogar auf den Eintritt der Marsianer in den 1. Weltkrieg mittels Fernlenkwaffen hoffen. Auch moluskenartige Horrorwesen, die sich von den Grausamkeiten der Menschen ernähren, leben noch im Jahr 1919 auf dem Mars.
Band II: 14 Deutsche Marsphantasien 1910 - 1919
342 Seiten mit 16 Original-Illustrationen, Bibliographie und Nachwort
Bibliophile Hardcover-Ausgabe mit Leseband, 21 cm x 14 cm
ISBN 978-3-946366-32-4
39, 80 Euro
Inhalt:
1910 Kurd Laßwitz Die entflohene Blume
1910 E. Tanne Die Frauenwelt auf dem Mars
1911 Mynona Aerosophie
1911 Georg Heym Der Besuch des Marsmenschen
1911 Siegmund Wilheim Besuch auf dem Mars
1911 Hermann Dreßler Ein Marstelegramm
1911 F. W. Mader Eine Entdeckungsreise auf dem Mars
1913 Waldemar Schilling Fünf Jahre auf dem Mars
1913 Hans Dominik Ein Experiment
1915 N. N. Der Mars mobilisiert!
1918 Neutraler Kaufmann Die Terrain-Spekulanten auf dem Mars
1918 Max Heinrichka Der Weltkrieg auf dem Mars
1919 Helene Burmaz Die Marsbewohner
1919 Hans Dominik Planetenverkehr
Die Sehsucht nach einem bewohnten Mars - Deutsche Marsphantasien 1892 - 1919
Auswahlbibliographie
Buch-Erstveröffentlichung des 1913 als "Otto Hoffmann" nur in einer Zeitschrift veröffentlichten, höchst originellen SF-Romans für Alle, die keine Lust mehr auf die anthropomorphen und so typisch deutschen Marsianer der Kaiserzeit haben.
So beherbergt Hoffmanns Mars von 1913 nun 3 m große, 3-ultralichtäugige, gesichtslose Telepathen mit Röntgenblick, die Gedanken fotographieren können und ihre Umwelt telekinetisch gestalten, in unterirdischen Städten leben, die Sonnenenergie mittels Glasprismen nutzen und ihren Planeten mit einen künstlichen Treibhauseffekt "terraformen" und für sie bewohnbar halten. An den 4 Menschen, die das Geheimnis der Gravitationswellen entdeckt haben und den Mars in einem kugelförmigen Raumschiff besuchen, haben sie jedoch gar kein Interesse, weshalb sie auch keinen Kontakt zur Erde aufnehmen wollen. Eine zweite, degenerierte und eher an die Menschen erinnernde Zwergenrasse haust in urzeitlichen Sümpfen.
Der wesentliche Unterschied von Die fremde Welt zur konventionellen Marsliteratur und der Science Fiction dieser Zeit besteht darin, dass der eigentliche Fortschritt der Martier, nicht nur in genretypischen technischen Errungenschaften antizipiert wird, sondern er in der evolutionären Vervoll-kommnung ihrer eigenen psychophysikalischen Eigenschaften manifestiert wird, sodass sie telepathisch kommunizieren und telekinetisch nicht nur Luftschiffe bewegen, sondern sogar den eigenen Körper schweben lassen und ihr Hologramm fernprojizieren können. Auch Hoffmanns Romanbotschaft ist genreuntypisch: Raumfahrt ist sinnlos und der Kontakt mit Außerirdischen deprimierend oder sogar tödlich.
Otto (Oskar) Hoffmann
Die fremde Welt
Unbekannter Mars-Roman aus dem Jahre 1913
304-seitiger Bbibliophiler Hardcover (21 cm x 14 cm) mit Leseband und umfangreichem Nachwort zum "Rätsel des Oskar Hoffmann".
ISBN 978-3-946366-33-1
39,80 Euro