Die vereinigten Bewohner sämtlicher Planeten des Sonnensystems haben sich die Erde als unfreiwillige Lustspielbühne eingerichtet.
Salomo Friedlaender im Dezember 1911
Wiegen Sie die gesamte Menschheit in einen Traum, so beherrschen Sie sie. Sie glaubt, wahrzunehmen, aber sie ist selbst wie geträumt.
Salomo Friedlaender am 15. Juni 1919
Es fehlt allenthalben die gegenseitige Rücksicht aufeinander. Vielleicht ist deswegen die Erde nur elliptisch. Es sind doch schließlich lauter moralische Symptome: daß die Achse schief zur Ebene der Erdbahn steht, die Pole abgeplattet sind, Peri- und Aphelium disproportioniert, der Mittelpunkt umherirrend, gestörte Balance, schiefe Symmetrie; Planetenkrankheit? Astronomische Ärzte sollten kommen!
Salomo Friedlaender im Sommer 1918
Keine Hydra übertrifft an Intensität des Dummköpfe-nachwachsen-lassens die der Urteilslosigkeit des oberflächlichen Ohrs der öffentlichen Meinung.
Salomo Friedlaender 1922
Dr. phil. Salomo Friedlaender zählte von 1910 bis in die frühen 1930er Jahre in Deutschland zur literarischen Avantgarde, war u.a. mit Paul Scheerbart, Alfred Kubin, Else Lasker-Schüler und Martin Buber befreundet und hat seit 1909 eine literarisch ambitionierte, technisch-philosophische und gesellschafts- und militärkritische Science Fiction verfasst, die zu dem unvergänglich Besten des Genres zählt und heute immer noch mit Genuss und Gewinn zu lesen ist.
Der am 4. Mai 1871 in Westpreußen in einer Arztfamilie geborene und in Berlin lebende Friedlaender musste am 16. Oktober 1933 mit seiner Familie nach Paris fliehen, verlies seit dem Einmarsch der Wehrmacht im Juni 1940 seine Wohnung nicht mehr, konnte transportunfähig am 8. Mai 1943 von der Gestapo nicht interniert werden und starb verarmt und vereinsamt am 9. September 1946.
Seine beiden Geschwister Anna und der Essener Oberrabbiner Salomon Samuel wurden 1942 im KZ Theresienstadt ermordet, während seine Frau im Sammel- und Durchgangslager Drancy bei Paris vor ihrer Deportation ins KZ Auschwitz-Birkenau am 18. August 1944 von alliierten Truppen befreit wurde.
Der Telehaptor
Sämtliche Science Fiction Grotesken des Mynona 1909 - 1919
Das anlässlich seines 150. Geburtstag am 4. Mai 2021 herausgegebene Jubiläumsbuch „Der Telehaptor“ enthält Friedlaenders sämtlichen frühen von 1909 - 1919 unter dem Anagramm Mynona publizierten expressionistisch orientierten 29 Science Fiction & Fantasy Grotesken. Themen sind u.a. die Fernübertragung von Berührungen (recht aktuell angesichts der Corona-Kontaktbeschränkungen), die Manipulation von Raum und Zeit, das Ende der Erde durch eine menschgemachte Klima-katastrophe, die „Aerosophie“, eine Philosophie der Marsbewohner, die Liebe extra- und transterrestrischer Wesen sowie vegetabilischer Menschen mit einer „Totalen Vereinigung“, die Reproduktion von Goethes Stimme, eine lautbarmachende, jedem Menschen eigene „Charaktermusik“, die Sichtbarmachung von Gefühlen, die Materialisation von Gedanken, die Plastinierung von Menschen, sowie zahlreiche weitere originelle Zukunftserfindungen und Technikvisionen des Prof. Abnossah Pschorr und Myno Deusp.
Der Kantianer Friedlaender ist ein völlig originärer SF-Autor, der, als einiger der wenigen an die technisch-philosophisch und an Fechners Psychophysik orientierte SF-Tradition von Kurd Laßwitz (1848 - 1910), dem „Vater der deutschen Science Fiction“, anknüpfte. Friedlaender wurde durch Paul Scheerbart zur SF inspiriert, schätzte das Werk von Kurd Laßwitz, Carl Grunert, Jules Verne und H. G. Wells, und hat einzelne Sujets daraus in seinen SF-Grotesken verwandt, auch um „die Komödie des heutigen Menschen in seiner Lächerlichkeit und selbst verschuldeten Ohnmacht“ darzustellen, doch war er niemands Epigone.
Vielmehr hat Friedlaender eine höchst eigenartige und eigenständige Science Fiction kreiert, die weniger unterhalten, sondern als technisch-philosophische „Speculative Fiction“ die unbegrenzten Möglichkeiten dieses vergleichsweise jungen Genres als literarisches Spiel und Experiment in die Hochliteratur einführte. Die besondere Eignung der SF zur Gesellschafts- und Militarismuskritik „dieser halb kaum fertig gemachten Menschenwelt, in welcher Zufall, Tod oder Dummheit und anderes Ungeziefer eine so große Rolle spielen," hat er ebenfalls früh erkannt und genutzt.
Trotz seines bedeutenden SF-Romans "Graue Magie" 1922 war Friedlaender vielmehr ein Vertreter der genuinen deutschen SF, die von Anfang an und noch bis 1919 in der Kurzgeschichte die „Königin der Science Fiction“ sah und die er bis zu seiner Emigration 1933 als einer der wenigen in der Kurzprosa als SF-Groteske originär in insgesamt mehr als 60 Texten weiterentwickelt hat, sodass er heute als einer der bedeutendsten und produktivsten deutschen SF-Autoren seiner Zeit gelten kann.
Inhalt:
Zum Mynonafiction´schen Geleit
1909 Das Weihnachtsfest des alten Schauspielers
1910 Von der Wolke, welche so gern geregnet hätte
1911 Charaktermusik. Eine haarige Geschichte
1911 Von der Wollust über Brücken zu gehen
1911 Der kommende Mann. Eine Vision
1911 Die betrunkenen Blumen oder der geflügelte Ottokar
1911 Aerosophie
1912 Fasching der Logik. Vortrag eines Marsbewohners
1912 Präsentismus. Rede des Erdkaisers an die Menschen
1913 Die Torturen des Gottes Mumba
1913 Der Telehaptor – Idee vom Ferntaster
1913 Unter Kanonenkönigen
1915 Das Wunder-Ei
1916 Der Stereograph
1916 Goethe spricht in den Phonographen
1916 Das vertikale Gewerbe
1917 Der sichtbare Mensch. Eine Antiwellsiade
1917 Willi Wille!
1918 Harun al Ra – – – – –?
1918 Die Kunst, sich selber einzubalsamieren
1918 Die Entführung
1918 Neues Kinderspielzeug
1918 Die langweilige Brautnacht
1918 Beschreibung meiner Braut
1918 U?
1919 Der gut bronzierte Floh
1919 Die vegetabilische Vaterschaft
1919 Das widerspenstige Brautbett
1919 Die kinetische Automodellierung
Eleganter Glanz-Paperback 20 cm x 13,5 cm
234 Seiten mit 5 Abbildungen
ISBN 978-3-946366-51-5
29,80 Euro
Der Sautomat
Sämtliche Science Fiction Grotesken des Mynona von der "Bank der Spötter" 1918/1919
Der im Sommer 1918 geschriebene 450-seitige „Roman“ „Die Bank der Spötter“ wurde von Salomo Friedlaender (1871 - 1946) als Sammlung von 19 Grotesken konzipiert, die durch eine Rahmenhandlung um die gleichnamige Literaturgesellschaft verbunden wurden. Utopisches Konnektiv ist dabei der von Friedlaender 1913 eingeführte Prof. Abnossah Pschorr, der „Erfinder des Ferntasters, des Phonographen, der heute noch die Worte Goethes widertönt, der Funktionär der physiologischen Telegraphie ohne Draht, der praktische Kosmisierer des Leibes und Vakuumreiniger der Seele.“
Aus dem überwiegend nichtutopischen „Roman“ werden erstmals sämtliche eigenständigen Science Ficition & Fantasy Grotesken und SF-Marginalien extrahiert und anlässlich Friedlaenders 75. Todestag am 9. September 2021 in einem Band herausgegeben.
Friedlaender präsentiert hier ein utopisches Feuerwerk, indem er u.a. als Zukunftslösung der sexuellen Frage einen „Sautomat“ entwirft, mit dem beliebige Sexualpartner z.B. die Mona Lisa oder die ältere Ehefrau wieder in jungen Jahren sowie die eigene Person als andersgeschlechtliche Variante geformt werden können. Er entdeckt eine anthropoide Stadt in Menschen-gestalt, lässt die Menschheit durch eine „Litfaßsäulen-Literaturgesellschaft“ bilden und veredeln, nutzt Zeppeline zur Bewässerung der Landwirtschaft in (höchst aktuellen) Dürrezeiten und lässt aus ihnen Bomben mit „belebenden Sauerstoffmischungen“ werfen, die „die Atmosphäre rundumher erfrischten und durchdufteten“. Die Erde wird durchsichtig gemacht und aufgrund eines leistungsstarken Elektromagneten wird der Erfinder göttlich verehrt, während eine in der Zukunft elektrisch aufgerüstete Straßenbahn mit „elektrischen Stühlen“ den Beginn einer neuen hypermobilen Verbrechensära einleitet. Abnossah Pschorr hat hingegen seinen Telehaptor von 1913 und Stereographen von 1916 weiterentwickelt, projiziert und multipliziert Hologramme von Personen und Situationen, sowie schult utopisch seine Jünger, sodass es künftig ausreicht, durch Einnahme einer neuartigen Pille die Realität manipulieren zu können und u.a. in einer Hutmacherleiche ein apokalyptisches Berlin visualisiert wird.
Den Antisemiten interpretiert Friedlaender als rückständige Zwischenstufe der Evolution, als Atavismus der menschlichen Entwicklung und führt in einer Utopie den Judenhass ad absurdum. So gelingt es (deutschen) Wissenschaftlern den Antisemitismus, der bereits mit der chemisch konditionierten Muttermilch eingesogen werden kann, vom Menschen auf die Umwelt (wie einen Virus) zu übertragen und sie für Judenhass zu disponieren. Rosen riechen für jüdische Kinder nach Knoblauch, Felsen brechen ab, wenn Juden an ihnen bergsteigen und dort wo viele Juden wie in Palästina leben, kommt es zu „antisemitischen Erdbeben“.
Inhalt:
Das Pferderennen ohne Pferd
Die anthropoide Stadt
Utopische Allotria
Die literarische Litfaßsäulen-Gesellschaft
Die andressierte Unsterblichkeit
Der Eierschänder
Sautomat
Die organische Erfindung
Die blutige Ypsilon
Das Schicksal als Kinematoskop
Schone deines Kindes Hut!
Der verliebte Kleiderkasten
Antisemitische Utopie
Der elektromagnetische Buckel
Spandau in der Hutmacherleiche
Nachwort: Die frühen Science Fiction Grotesken des Mynona 1909 - 1919
Eleganter Glanz-Paperback 20 cm x 13,5 cm
186 Seiten mit 10 Abbildungen
ISBN 978-3-946366-51-5
29,80 Euro